Andreas Schmidt und
Gerd Bauschmann
Ein Plädoyer für eine naturschutzkonforme Weidewirtschaft
Verbrachung von Grünland auf der einen und Nutzungsintensivierung auf der anderen Seite, BSE, MKS und sonstige Tierhaltungsskandale, Höfe- und Bauernsterben, mangelndes Vertrauen der Verbraucher in die Landwirtschaft und vieles mehr haben dazu geführt, der Weidewirtschaft wieder mehr Augenmerk zu schenken.
Das Thema ist facettenreich,beeinhaltet es doch sowohl ökologische als auch sozio-ökonomische Aspekte. Hier sollen kurz die ökologischen Gründe angesprochen werden, die für eine Beweidung sprechen.
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Erhaltung bzw. Wiederherstellung
von artenreichem Grünland
Die Polarisierung in der Grünlandnutzung
ist zu einem großen Naturschutzproblem geworden. Während manche
Grünlandflächen immer intensiver bewirtschaftet werden (Düngung,
Herbizideinsatz, Erhöhung der Schnitthäufigkeit), werden andere
stillgelegt, verbrachen, verbuschen und werden schließlich zu Wald.
In der Regel werden zuerst die mageren, nicht lohnenden oder schwer zu
bewirtschaftenden Flächen aufgegeben, die aber gerade für den
Naturschutz besonders interessant sind. Ein hoher Prozentsatz aller bei
uns heute gefährdeten Tier- und Pflanzenarten leb(t)en auf solchen
Flächen. Die Verbuschung zerstört ihre Lebensgrundlagen.
Dies bezieht sich im übrigen
nicht nur auf Halbtrockenrasen, Wacholderheiden oder Borstgrasrasen. Auch
die ehemals überall vorherrschenden, durch Mahd (und Nachweide) oder
Beweidung entstandenen Frischwiesen und -weiden gehören mittlerweile,
zumindest in ihren mageren Ausprägungen, aufgrund dramatischer Bestandsrückgänge
zu den bedrohten Lebensräumen. Eine öffentlich finanzierte
Offenhaltung dieser ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen in
Form einer Pflegemahd mit anschließender Kompostierung des anfallenden
Grünschnittes ist weder ökologisch sinnvoll, noch finanzierbar
in Zeiten immer leerer werdender Kassen. Eine kostengünstige und in
den landwirtschaftlichen Betriebsablauf passende Methode zur Offenhaltung
der Landschaft bzw. zur Erhaltung artenreichen Grünlandes ist die
Beweidung, insbesondere mit Schafen und Rindern. Dazu eignen sich speziell
alte, bodenständige Rassen.
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Weidetiere
in artgerechter Haltung
Durch den Einsatz von nicht
artgemäßen Futtermitteln (Verfüttern von Tiermehl an Wiederkäuer),
durch die teilweise illegale
Verwendung von Medikamenten (Antibiotika in der Schweinemast, Hormone in
der Kälbermast) zur Steigerung von Leistungsparametern in der Tierhaltung
und durch das kriminelle Beimischen von Abfällen in das Futter (Klärschlämme,
Altöle usw.) zur Erzielung höherer Gewinne durch die Industrie
ist die Tierhaltung stark in die Schlagzeilen geraten. Höfesterben,
Massentierhaltungen, Gülleprobleme, Tiertransporte quer durch Europa
usw. sind weitere Folgen einer auf einseitiges Wachstum setzenden Agrarpolitik,
die nur noch Großbetrieben eine Überlebenschance bietet. Der
Verbraucher ist nicht nur beunruhigt, sondern auch gesundheitlich gefährdet.
Bisher galt die Schafhaltung
als die extensivste Nutzungsform bei der Grünlandbewirtschaftung.
Ganzjährige Stallhaltung, wie bei den anderen Tierarten, ist kaum
bekannt. Gebräuchlich sind die Wanderschäferei (heute nur noch
18%), die standortgebundene Hütehaltung (40%) und die Koppelhaltung
(42% mit steigender Tendenz). Da Schafe recht genügsam sind, können
auch noch Grenzertragsstandorte durch sie genutzt werden. Doch auch sie
sind inzwischen in die Schlagzeilen geraten durch Scrapie (im Gefolge von
BSE) und MKS. Moderne Milchkühe und
Mastbullen müssen in kürzester Zeit hohe Leistungen erbringen,
die nur durch entsprechende Zugaben von Kraftfutter, das nicht mehr aus
dem Grünland gewonnen wird, sondern auf dem Acker produziert und z.
T. importiert wird, möglich sind. Neben dem Grundfutter (Gras, Heu,
Silage) erhalten Hochleistungskühe und Mastbullen deshalb Getreide,
Mais, Fette, Mineralien und Vitamine. Da die Fette bisher teilweise aus
der Tierkörperverwertung stammten, sieht man in ihnen einen Träger
der BSE. Sie sind deshalb seit Januar 2001 verboten. Nach energiereichen
Alternativen wird gesucht. Alle o. g. Probleme stehen
in engem Zusammenhang mit der Massentierhaltung ohne Bestandsobergrenzen
und dem Bestreben, die Leistung der Nutztiere immer weiter zu steigern.
Eine Alternative könnte die Rückbesinnung auf eine ökologischere
Form der Viehwirtschaft sein, die mit weniger Kraftfutter auskommt und
eine engere Bindung an das Grünland besitzt. Dazu müßten
Rassefragen (z. B. auch alte Nutztierrassen), Haltungsbedingungen (artgerechte Tierhaltung, Weidegang usw.), Tiertransporte u. v. m. neu überdacht
werden.
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Erhaltung einer vielfältigen
Kulturlandschaft
Wenn in Naturschutzkreisen von
Beweidung gesprochen wird, verhärten sich sehr bald die Fronten. Da
sind diejenigen, die um das Überleben von Orchideen und Vögeln
bangen und sich strikt gegen jede Form der Beweidung aussprechen, weil
sie fürchten, die empfindlichen Pflanzen oder die Gelege würden
durch Viehtritt zerstört. Dabei wird höchstens nachgegeben, wenn
der Nutzungszeitpunkt möglichst spät liegt, frühestens nach
dem 15. Juni. Hierbei wird gerne übersehen, daß oftmals gerade
die Nutzung durch Beweidung ursprünglich für das Zusatndekommen
der Artengemeinschaft gesorgt hat. Das andere Extrem sind solche Personen,
die am liebsten alles und zu jeder Zeit beweiden würden und dafür
auf alle anderen Formen der Grünlandnutzung verzichten könnten.
Dann gibt es die Fraktionen derjenigen, die nur auf großflächige
Beweidungssysteme bis hin zur "neuen Wildnis" mit dedomestizierten Haustieren
setzen. Ihnen stehen die Verfechter einer historisch gewachsenen, kleinstrukturierten
Kulturlandschaft mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft gegenüber.
Schließlich entbrennt auch immer wieder Streit darüber, ob die
Beweidung "intensiver" und "extensiver" durchgeführt werden soll.
Spätestens hier stellen
sich die Fragen: Gibt es nur ein "pro" oder "contra" Beweidung, liegt die
Lösung nicht in der Nutzungsvielfalt? Sind kleinparzellige Nutzung
und grossflächige Weidesysteme wirklich ein Widerspruch, können
nicht beide je nach Anforderung die Lösung der Wahl sein? Bezieht
sich "extensive Beweidung" nicht nur auf die Reduzierung von Düngemitteln
auf den Weideflächen und sollte die eigentliche Beweidung (z. B. Zahl
der Beweidungsdurchgänge) nicht sogar "intensiver" erfolgen?
Soll eine vielfältige
Kulturlandschaft mit einer Vielzahl an Lebensräumen, Lebensgemeinschaften
und Arten erhalten werden, muß auch Platz für eine Nutzungsvielfalt
sein. Vereinheitlichung der Nutzung zieht auch eine Uniformierung der Landschaft
nach sich. Verschiedene Formen der Beweidung sollten neben der Mahd existieren
können.
Fazit Betrachtet man die oben geschilderten
Probleme, kommt man sehr schnell zum Schluss, dass nur eine naturschutzkonforme
Weidewirtschaft aus den derzeitigen Tierhaltungskrisen helfen kann. Auch
die EU-Agrarpolitik hat dies teilweise erkannt und die Subventionen entsprechend
ausgerichtet. Durch eine naturschutzkonforme
Weidewirtschaft kann der Erhalt (und teilweise die Entwicklung)
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von vielfältigen Lebensräumen
für Tiere und Pflanzen (Biodiversität) sowie von gesundem Boden
und Wasser (ökologische Komponente)
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ökonomischer Tragfähigkeit
(sowohl von Einzelbetrieben als auch der Region) und der Wertschöpfung
ländlicher Räume (ökonomische Komponente)
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von wohnungsnahen Arbeitsplätzen,
von landwirtschaftlichen Berufen (z. B. Schäfer) und von Erholungswert
der Landschaft (Naherholung) (soziale Komponente)
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der Attraktivität der Landschaft
durch bunte Wiesen mit Weidetieren (ästhetische Komponente)
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von Elementen traditioneller
Landbewirtschaftung und bedrohter Nutzpflanzen und Nutztierarten und -rassen
(kulturhistorische Komponente)
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von artgerechter Tierhaltung
mit der Erzeugung von Prämiumprodukten und deren Vermarktung in der
Region (marktpolitische Komponente) erreicht werden.
Aus: Bauschmann, G. & A. Schmidt (Hrsg.)
(2001): "Wenn der Bock zum Gärtner wird ..." - Ergebnisse naturschutzorientierter
Untersuchungen zum Thema Landschaftspflege durch Beweidung - NZH-Akademie-Berichte
2, 1-283, Wetzlar (NZH-Verlag) |